Die Sache mit dem „Krmpflkrt"...

Das Vertrauen in die Obrigkeit wird in den seltensten Fällen durch Spendenaffären, Waffenverkäufen oder Sexskandalen erschüttert. Gemeinhin wird dies als „allzu menschlich“ hingestellt. Eigentlich wird den Verantwortlichen irgendwelcher Staatsformen damit ein Freifahrschein für die Dinge ausgestellt, die einem normalen Bürger zum Verhängnis würden. Leider muss ich für meine Person eingestehen, dass viele Fehler, natürlich rein gedanklich, auch mir passieren könnten...

Wer kann sich schon davon freisprechen bei einem Millionenangebot für irgendwelche, eine bestimmte Firma oder Gruppierung positiv beeinflussende, „Dienstleistung“ nein zu sagen? Aber wie schon erwähnt, dass Vertrauen in unsere Obrigkeit wird durch persönliche Erfahrungen geprägt, in meinem Fall ging dies zu Lasten der Polizei sowie der Justiz...

Alles begann mit meiner immerwährenden Neugierde. Jedes Kuriosum, jede Neuigkeit und jede noch so ungewöhnliche Geschichte interessierte mich, ließ meine Wissbegierigkeit aufflammen, trieb mich dazu, zwischendurch zum Gaffer, Voyeur oder Sensationslüsternen zu werden.

So ließ mich die Nachricht aufhorchen, dass in unserer Stadt ein bekanntes Gebäude, welches seit Jahren leer stand und die Vermutung nahe lag, dass hier ein Fall von Immobilienbetrug vorlag, von Hausbesetzern in Besitz genommen worden war. Während der Nachrichten wurde auch die eventuelle gewalttätige Räumung durch die Polizei erwähnt. Klare Sache, das musste ich sehen!

Welcher Teufel mich nachher geritten hat sich immer näher an den Ort des Geschehens zu bewegen, weiß ich heute nicht mehr. Fakt war, dass viele andere Menschen unserer Stadt genauso dachten wie ich und somit die Örtlichkeit rund um das besetzte Haus eher einem Volksfest, denn einer von der Polizei durchzuführenden Aktion glich.

Das dies unseren Ordnungshütern nicht unbedingt passte, war nachvollziehbar. Doch an diesem Tag, die Sensation hatte in unserer Stadt Einzug gehalten, merkte das niemand. Hier ging es sich selber ins rechte Licht zu rücken und vielleicht sogar den ein oder anderen absolut objektiven Kommentar für das Fernsehen, dem Radio oder einer Zeitung abzugeben. Zwischenfälle waren vorprogrammiert!

Irgendwann wurde es der Polizei zu bunt und sie begann die Plätze rund um das eigentliche Ereignis, der Hausbesetzung, zu räumen. Auch ich stand irgendwann einem dieser grünbefrackten Hilfsrambos im Weg und musste mir einen zwar harmlosen, aber doch spürbaren Knuff in die Rippe gefallen lassen. Dass man sich in solchen Situationen etwas zurückhalten sollte war mir eigentlich klar, aber irgendwie gefiel mir die Aktion des Polizisten, der mir rein körperlich um Längen voraus war, überhaupt nicht und so warf ich ihm ein scharfes „Lassen sie mich in Ruhe, sie Krmpflkrt...!“ entgegen. Ich war mir sicher, dass dies aufgrund der unbekannten Herkunft eines solchen Wortes, nicht unter Beleidigung fallen konnte, was der Polizist jedoch wohl anders sah...

Das Ende vom Lied war, dass ich mich in Gewahrsam der Polizei sah, eine Nacht im örtlichen Präsidiumsgefängnis verbringen durfte und nach Angaben aller Personalien am frühen Morgen mit einem blauen Auge sowie diversen Prellungen nach Hause durfte. Übrigens hatte ich mir die Verletzungen bei meiner kurzen Diskussion mit dem angesprochenen Polizisten zugezogen. Ich hätte mir die anatomischen Unterschiede vielleicht mehr in Augenschein nehmen sollen...

Beim Verlassen des Polizeipräsidiums wurde ich von einer Gruppe langhaariger, äußerst geschmacklos gekleideter Jugendlicher euphorisch begrüßt: „Wir haben gesehen wie du den dummen Bullen Kontra geboten hast. Das war toll, du bist wirklich einer von uns...!“ Nun, dazu hatte ich absolut keine Lust, zuerst die Festnahme und jetzt war ich ein schon fast stadtbekannter Anarchist, doch es ging erst richtig los!

Mehrere Wochen nach diesem unsäglichen Ereignis bekam ich Post von der Staatsanwaltschaft mit der Aufforderung, eine Aussage bei der Polizei bezüglich der vorgefallenen Aktionen zu tätigen. Grundsätzlich wurde mir der Vorwurf der Beamtenbeleidigung gemacht, ich soll einen Polizeibeamten mit den Worten „...sie Krmpflkrt...!“ beleidigt haben.

Während meiner Aussage bei der Polizei fragte ich den Beamten, was denn dieses Wort überhaupt bedeuten würde, worauf mich dieser mit der Bemerkung „Ja was weiß denn ich, was es heißen so. Sie haben doch diese infantile Beleidigung losgelassen, stellen sie sich diese Frage doch selber...!“

Das sollte erst der Anfang sein.

Wiederum einige Tage später bekam ich die Anklageschrift, nun war es Zeit einen Rechtsanwalt zu suchen, der sich damit besser auskannte als ich.

Doch so sehr ich auch suchte, es fand sich niemand der aufgrund des unbekannten Ausgangs der zu erwartenden Verhandlung, eine Verteidigung für mich aufbauen wollte. Es blieb mir nur eine eigene Rechtfertigung und ich war mir sicher, dass es keine rechtliche Basis für eine angebliche Beleidigung mit dem Wort „Krmpflkrt“ gab.

Am Tage der ersten Verhandlung wurde meine Betrachtungsweise des Vorfalls erfragt. Wie schon so oft vorher machte ich meine wahrheitsgemäße Aussage: „Der besagte Polizist forderte mich sehr unsanft auf, die Örtlichkeit zu verlassen. Nachdem er dies mit einem Schlag in meine Rippen bekräftigte, kommentierte ich dies mit den Worten, lassen sie mich in Ruhe, sie Krmpflkrt.“ Das Raunen im Gerichtssaal ließ auf eine sehr gewagte Aussage meinerseits schließen, verstehen konnte ich dies nicht. Aber das Plädoyer des Staatsanwaltes ließ keinen Zweifel, ich sollte für die Worte „...sie Krmpflkrt...!“ belangt werden. Eigentlich ließ der Staatsanwalt nichts aus, um aus mir ein anarchistisches Individuum der übelsten Sorte anzufertigen.

Die beleidigenden Worte –sie Krmpflkrt- lassen leinen Zweifel, dass es sich bei dem Angeklagten um einen rhetorisch hervorragenden, aber letztendlich völlig verlotterten Vertreter der anarchistischen Szene handelt. Wir können uns solchen Individuen nicht unterwerfen, in dem wir Beleidigungen gegen unsere Beamten zulassen. Aus diesem Grund gehört das hier angeklagte Mitglied dieser Gruppierung verurteilt !“

Mir fehlten zwar die Worte, aber irgendwie schaffte ich es die ein oder andere Frage zusammenzubekommen, was mir als Verteidiger meiner selbst zustand.

Herr Staatsanwalt, neben der Tatsache, dass ich nie einer anarchistischen Gruppierung angehört habe, würde ich gerne von ihnen wissen worin die Beleidigung bei dem Wort Krmpflkrt besteht...?“

Aufruhr im Saal war die Folge. Die Einen, immer noch langhaarig, waren enttäuscht über meinen Verrat an der Szene (...der ich doch nie angehört hatte...). Die Anderen weil ich es mir erdreistete, an den Worten des Staatsanwaltes Zweifel anzubringen, ohne irgendwelche Reue zu zeigen.

Das Ende vom Lied war, dass der Richter den Gerichtssaal räumen ließ und mir eine erste Ordnungsstrafe in Höhe von mehreren tausend Euros aufbrummte. Begründung für diese mehr oder weniger willkürliche Verhängung einer persönlichen Präventivmaßnahme war die, so wörtlich, „...Aufwiegelung des Prozesspublikums durch Verunglimpfung der Gerichtsbeteiligten und des Rechtsstaates...!“

Ich war sprachlos über soviel Intoleranz in diesem Gerichtssaal. So gesehen war mein Plädoyer eigentlich hinfällig, denn ich hatte meine Verteidigung auf die Tatsache aufgebaut, dass mein angebliches Schimpfwort  „Krmpflkrt“ absolut ohne Sinn sei und dementsprechend auch nicht als Beamtenbeleidigung gesehen werden durfte.

Im Endeffekt überraschte mich der abschließende Urteilsspruch nicht besonders. „...befinden wir den Angeklagten schuldig im Sinne der Anklage den Beamten...am...mit den Worten –Sie Krmpflkrt- nicht nur beleidigt, sondern auch in seiner Ehre als Menschen schwer getroffen zu haben, dies in einem besonders schweren Falle. Aus diesem Grund verurteilen wir den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten auf Bewährung sowie einer Geldstrafe in Höhe von 15.000,-€.“

Neben der üblichen Begründung durch den Richter wurde auch erwähnt, hier ein Exempel zu statuieren. Denn es konnte nicht im Sinne des Staates sein, anarchistischen Bewegungen die Möglichkeiten zu bieten, Vertreter unseres Landes zum Freiwild  zu erklären.

Mittlerweile war der Fall von den Medien entdeckt worden und meine Person wurde, je nachdem aus welcher Sichtweise der jeweilige Kommentator das sah, entweder zum Helden erkoren oder aber zum absoluten Buhmann erklärt. Die Einen weil ich mich der Staatsmacht widersetzte, die Anderen weil ich die Ausgeburt der terroristischen Einheiten unseres Landes darstellte...

Die Folge waren Zeitungsinterviews, Fernsehauftritte oder Radio-Shows, alles entweder als der große „Krmpflkrt“-Rebell, der sich nicht unterkriegen ließ oder als der verhärmte Bombenleger, dessen Hemmschwelle nur eine überaus unmenschliche Beleidigung zuließ.

Das positivste war die Tatsache, dass ich durch diese öffentlichen Auftritte genügend Geld zusammenbekommen hatte, um mir einen Rechtsanwalt zu leisten, der meine Berufung bearbeiten konnte. Obwohl es sehr schwer war jemanden zu finden, der diese vertrackte Situation lösen wollte...und zwar in meinem Sinne.

Aber noch eine andere Entwicklung wurde durch meinen, aus meiner Sicht noch immer absurden, Fall eingeleitet. Auf den Straßen, in der Bevölkerung wurden die abenteuerlichsten Schimpfkanonaden geboren. Es war keine Seltenheit mehr, während einer kontroversen Diskussion mit den Worten „Grmpgfl“ oder „Strkldpfm“ bedacht zu werden, wobei der absolute Hit immer noch das von mir kreierte „Krmpflkrt“ war.

Mein Rechtsanwalt, ein junger, noch nicht allzu erfahrener Jurist mit roten Wangen und unübersehbarer Nervosität empfand, im Gegensatz zu mir, diese Situation als nicht sonderlich vorteilhaft für unsere Berufungsverhandlung.

Wäre es doch möglich gewesen, dass der Richter meine angebliche Beleidigung, durch die mittlerweile vollzogene Entwicklung als Vorbote für die „Verrohung der deutschen Sprache“ hätte ansehen könnte.

Eine Überlegung die mir angesichts der bisherigen Ergebnisse meines Falles durchaus einleuchtete. Am Tage des Prozesses glich der Vorplatz rund um das Gerichtsgebäude einem Menschengewimmel.

Die Medien hatten groß aufgefahren, Fernsehjournalisten befragten alle möglichen Schaulustigen zu ihrer Meinung, Radioreporter gingen live mit Berichten über die verschiedenen Stimmungen auf den Äther und Vertreter der Printmedien saßen mit Handy und Laptop bewaffnet in den Startlöchern, um direkt den Bericht für die morgigen Ausgaben anzufertigen.

Aber auch die Passanten waren gewappnet, auf der einen Seite die Fürsprecher meines „Krmpflkrt“. Genauso mit Transparenten und Megaphonen bewaffnet, wie auf der anderen Seite die Gegner meiner sprichwörtlichen verbalen Entgleisung. Alle warteten auf das Urteil, es herrschte eine sensationslüsterne Atmosphäre.

Aufgrund der Vorkommnisse beim ersten Prozess, wurde die Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführt, so dass nur der Richter, der Staatsanwalt, der Gerichtsschreiber, ein Prozessbeamter sowie mein Rechtsanwalt und ich anwesend waren.

Nachdem der Richter die Stätte meiner „erstklassigen Beerdigung“ betreten hatte und der Staatsanwalt gerade zur plädoyermäßigen Hinrichtung schreiten wollte, übernahm der Richter, ein älterer, sehr würdevoll auftretender Mann, das Wort.

Sehr geehrte Staatsanwaltschaft, werte Prozessbeteiligten, ich habe mich im Vorfeld dieses Prozesses sehr ausführlich mit diesem Fall und seinem Zustandekommen beschäftigt. Es ist mir unbegreiflich wie man, um es einmal umgangssprachlich auszudrücken, aus einer Mücke einen solchen Elefanten machen konnte. Das Ganze dann noch zur Last unserer Steuergelder. Wenn man mich vor dem ersten Prozess gefragt hätte, was ein „Krmpflkrt“ ist oder bedeuten soll, hätte ich mir an die Stirn getippt und hätte den Frager für etwas durcheinander erklärt. Aus diesem Grund, sowie der Tatsache, dass wir mit solchen Vorfällen den Ruf der Justiz und unseres Rechtsstaates in Frage stellen beziehungsweise aufs Spiel setzen, erklären ich den Prozess ohne die üblichen Vorgänge für beendet und erkläre den Angeklagten in allen Punkten für unschuldig. Das Urteil lautet daher Freispruch erster Klasse!“

Ein Hammer, jedenfalls für mich. Der Staatsanwalt stand ohne besondere Gefühlsregungen auf, packte seine Aktenordner ein und verließ den Gerichtssaal. Mein Rechtsanwalt gratulierte mir per Händedruck, wünschte mir einen schönen Tag, nicht ohne zu vergessen mir mitzuteilen, dass die Rechnung für seine im Endeffekt erfolgreiche Arbeit in den nächsten Tagen zugestellt würde.

Am Ende saß ich ganz alleine im Prozessraum und war mir der glücklichen Umstände über den Verlauf der Verhandlung noch gar nicht bewusst, merkte jedoch aufgrund des fehlenden Magendrückens, dass hier etwas positives passiert war.

Ich stand langsam auf und verließ das Gerichtsgebäude. Dort war zu diesem Zeitpunkt nichts mehr von einem Volksauflauf zu spüren. Zerrissene Transparente lagen in den umliegenden Papierkörben, einige letzte Fernsehtechniker verpackten restliche Kabel, sonst war der Platz vor dem Justizpalast menschenleer. Auf meine Frage an einen der Techniker, wo denn all die Menschen seien bekam ich zur Antwort, dass aufgrund der relativ langweilig verlaufenen Verhandlung, die Informationen stammten von der Pressestelle des Gerichts, welche die Pressemeldung schon vorab verfasst hatte, die Leute gegangen wären.

Und richtig, nach Beendigung der „Krmpflkrt“-Affäre war ich für die Leute uninteressant geworden und ich war glücklich darüber!

Etwas Positives gab es dann noch für mich, der Ausdruck „Krmpflkrt“ wurde zum Wort des Jahres gewählt. Die, mir als Erfinder dieses Wortes zustehenden 2000,-€, spendete ich übrigens dem „Institut für rhetorische Sprachverfeinerungen“ in der Hoffnung, dass niemals jemand mehr in dieselbe Situation wie ich geraten würde.

 

Übrigens schaffte ich mir einen Hund an, ich holte ihn aus dem Tierheim. Eine Promenadenmischung, in der mindestens vier verschiedenen Rassen zu finden waren. Als es an die Namensgebung für meinen neuen Gefährten ging war mir klar...dieses Wesen konnte nur „Krmpflkrt“ heißen...

©️ Holger Spiecker